Freitag, 9. August 2024

Zu schön, um wahr zu sein


Gestern Nachmittag. Ich sitze an einem See. Genau genommen ist es ein Loch. Nicht besonders groß. Aber sehr tief. Angeblich um die sechzig Meter. Ein ehemaliger Basaltsteinbruch, in den 1940er Jahren aufgegeben. 

Direkt am Ufer geht es steil hinab in die Tiefe. Die Farbe des Wassers: mal tiefgrün, mal bernsteinfarben, mal aquamarin. Es ist klar und kühl. Eine Lust darin zu schwimmen. An der kleinen Badestelle tummeln sich Fische. Blätter der das Loch säumenden Laubbäume treiben auf dem Wasser. Sie bewegen sich nicht, denn es gibt keine erkennbare Strömung. 

An einer Seite des Lochs, hoch über der Wasserfläche liegen Datschen. Manchmal höre ich Stimmen aus den Gärten. Sonst ist es still. Nur ein Buntspecht pickt ein wenig in den Baumrinden herum. Eine verborgene Ecke der Welt, paradiesisch, geheimnisvoll, unwirklich.

Dann taucht ein alter Mann auf. Nur mit einem Badetuch und Plastikschuhen bekleidet. Sicher einer der Datschenbesitzer. Er grüßt freundlich, ich grüße ebenso freundlich zurück. Der Mann hängt das Badetuch an einen Ast, lässt die Schuhe stehen und geht ins Wasser. Ich mustere das Badetuch und die Schuhe. Und denke an einen Krimi. Ein Mann oder eine Frau oder ein Kind findet Tuch und Schuhe. Wo ist der Besitzer? Ist er ertrunken? Wird jemand vermisst? War es ein Unfall? Oder Mord? Was verleitet den Ermittler zu der Annahme?

Der Mann kommt aus dem Wasser, wir wechseln einige Worte, dann geht er wieder. Ich bleibe allein im Paradies zurück. In meinem Kopf rattert das Fragment eines Krimi-Plots. Warum kann ich das Paradies nicht genießen? Weil es zu schön ist, um wahr zu sein.

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