Montag, 3. Juni 2024

Vielleicht-Taschen


Bei der Lektüre von Frederick Forsythes Thriller "Des Teufels Alternative" (1979) stoße ich auf folgende Passage:

Beide Männer trugen Aktentaschen, wie sie alle sowjetischen Männer zu tragen scheinen. Diese Taschen enthalten keineswegs Akten, sondern sind das männliche Gegenstück zu den „Vielleicht-Taschen“, den Einkaufsnetzen der sowjetischen Frauen. Diese Taschen verdanken ihren Namen der von jedem Sowjetbürger gehegten Hoffnung, auf einen Gebrauchsartikel zu stoßen, vor dem sich noch keine Schlange gebildet hat oder der noch nicht am Ausgehen ist.

Weitere Recherchen führen mich auf die Seite von "Russia Beyond". Dort erfahre ich den russischen Namen der "Vielleicht-Tasche": Awoska (авоська). Und lerne, dass man das nicht so einfach mit "vielleicht" übersetzen kann. Eher mit „auf gut Glück“ oder „mit etwas Glück“. Ein weiterer Fall von Lost in Translation, wie es scheint.

In der DDR, wo ähnliche Einkaufsnetze ebenfalls kursierten, war die sowjetische Bezeichnung meines Wissens unbekannt. Was nicht weiter erstaunlich ist, denn den Mangel, auf den die Netze zurückgingen, gab es offiziell ja gar nicht.

Wie gravierend er in der Sowjetunion tatsächlich war und welche absurden Folgen er hatte, verdeutlicht ein Auszug aus Hedrick Smiths Bestseller "Die Russen" aus dem Jahr 1976, dessen Lektüre ich ebenfalls sehr empfehle. 

Vieles darin wird auch dem Ex-DDR-Bürger bekannt vorkommen, obwohl die UdSSR – das wird schnell deutlich – auch im Hinblick auf Mangel, Korruption und Schwarzhandel ihren Satelliten weit voraus war.

Das obige Bild soll laut KI-Bildgenerator Midjourney übrigens ein Lebensmittelgeschäft im Moskau der Siebzigerjahre darstellen. Von dem darin suggerierten Warenangebot konnten sowjetische Konsumenten allerdings seinerzeit nur träumen. Was einmal mehr die vorläufig noch sehr engen Grenzen der sogenannten künstlichen Intelligenz aufzeigt.

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