Mittwoch, 6. März 2024

Guter Rat an Drehbuchautoren


Gibt es etwas nerdigeres als heute noch DVDs zu schauen? Ja: DVDs mit Kommentar schauen. Habe ich neulich gemacht. "Harper" aus dem Jahr 1966 ist eine Adaption von Ross Macdonalds Hardboiled-Krimi "The Moving Target". Das Drehbuch stammt von William Goldman. Und der plaudert im Kommentar ausführlich aus dem Nähkästchen. Sein Zielpublikum: der Nachwuchs. Neben einigen ganz netten Anekdoten gibt es Tipps und Tricks für die jungen Wilden. Vor allem aber: jede Menge Demotivierendes. Goldman bestätigt, was viele wissen: dass Drehbuchautoren in Hollywood wie der letzte Dreck behandelt werden, dass es alles andere als glamourös ist, Filme zu machen, dass er sich seine Filme nie anschaut, weil er immer nur die Fehler und Patzer seines Buches sieht, dass Filmstars sich oft wie kleine Kinder verhalten (Paul Newman war offenbar eine Ausnahme), dass ... Tja, you get the idea. Goldmans über allem stehende Botschaft lautet also: "Werdet um Himmels Willen keine Drehbuchautoren". Trotzdem mangelt es der Zunft bis heute nicht an Nachwuchs. Eines der vielen Mysterien, die uns das Leben aufgibt.

PS: Ein schönes, typisches Film-Noir-Zitat aus Goldmans Drehbuch: "The bottom is loaded with nice people, Albert. Only cream and bastards rise."

Safari in Lederhosen



Kürzlich las ich zum Einschlafen das erste Kapitel von Hemingways "Green Hills of Africa". Darin beschreibt Hemingway, wie er von einem vorbeifahrenden, offensichtlich defekten und deshalb besonders lauten Lkw bei der Kudujagd gestört wird. Wenig später findet er einen Österreicher namens Kandinsky über die Motorhaube gebeugt vor. Kandinsky, ehemals Farmer, nun Verwalter einer Plantage, trägt Lederhosen und einen Tirolerhut. Wenig später ist er zu Gast im Camp des Großwildjägers, stellt das Abknallen von Tieren in Frage (eine damals eher unkonventionelle Haltung) und verleitet mit seiner großen intellektuellen Neugier den Schriftsteller zum literarischen Schwadronieren. Kandinskys Begeisterung erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Literatur, sondern vor allem auf die Sitten und Bräuche der Einheimischen. Seine Begeisterung ist so groß, dass er irgendwann kurzerhand in die Hocke geht und einen afrikanischen Tanz rund um den Campingtisch vollführt. 

Kandinsky ist für mich ein alter Bekannter. Sein richtiger Name war Hans Koritschoner. Er stammte aus Wien, ging vor dem Ersten Weltkrieg als Farmer nach Deutsch-Ostafrika, kämpfte unter Lettow-Vorbeck, verbrachte danach mehrere Jahre in einem Kriegsgefangenenlager in Palästina und kehrte 1926 in das nunmehr unter britischer Verwaltung stehende Tanganjika zurück. Er sammelte Informationen, Tondokumente, Kultgegenstände und weiteres Material über die Völker des heutigen Tansania. Unter dem Namen Hans Cory publizierte er die Ergebnisse seiner Studien und galt bald als eine wichtige Autorität auf dem Gebiet. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Cory als "Regierungssoziologe" in Versuche der Briten eingebunden, ihr Herrschaftssystem der "Indirect Rule" auf der Basis vertiefter Kenntnisse einheimischer Institutionen und Rechtsvorstellungen zu legitimieren und zu reformieren. So veröffentlichte er 1953 eine Monografie über die traditionellen Rechtsvorstellungen der Sukuma, eines Volkes im Nordwesten Tansanias. Für die Reformpläne der Briten war sie jedoch ohne Bedeutung. Statt sich auf Sukuma-Traditionen zu stützen, führten sie in den 1950er Jahren ein System lokaler Government Councils nach britischem Vorbild in Sukumaland (Bild oben) ein. Am Ende des Jahrzehnts war klar, dass die britischen Pläne eines modernisierten Kolonialismus gescheitert waren, und das riesige Gebiet wurde 1961 in die Unabhängigkeit entlassen.

Die große Zahl seiner Publikationen kündet noch heute von Koritschoners Begeisterung für sein Forschungsgebiet. Und doch hat er – zumindest im Netz und in den mir zur Verfügung stehenden Quellen – kein Gesicht. Es scheint einfach kein Foto von ihm zu geben. Und so stelle ich ihn mir noch immer so vor, wie ihn Hemingway beschrieben hat: in Lederhosen und Tirolerhut, aufgeweckt, neugierig und ausgelassen um einen Campingtisch im afrikanischen Busch herumtanzend.

Imperium und Delirium

Anlässlich zweier kürzlich erschienener Romane über Joseph Roth wurde in einer Rezension einmal mehr eine amüsante Anekdote kolportiert. Demnach habe der exilierte Thronprätendent Otto von Habsburg dem ebenfalls exilierten alkoholkranken Schriftsteller bei einem Treffen in Paris befohlen, mit dem Trinken aufzuhören. Wenig später sei Roth, der von einer Wiederherstellung der Monarchie träumte, gestorben. Wann genau das Treffen stattgefunden hat, wird leider nicht gesagt, aber was wäre, wenn ausgerechnet der kaiserliche Befehl Roths Tod beschleunigt hätte? Plötzlicher Alkoholentzug birgt besonders bei starken Alkoholikern erhebliche, zum Teil lebensbedrohliche Risiken. Stolperte er womöglich aus dem Traum vom wiedererstandenen Imperium direkt ins Delirium? Wenig wahrscheinlich. Aber ein Gedanke, der einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

Napoleons Migräne


Als ausgesprochener Kopfmensch hat mich der Tatmensch Napoleon Zeit meines Lebens fasziniert. In gewisser Weise ist Napoleon die Antithese zu meiner Wenigkeit. Heute erfuhr ich aus einer Rezension von Adam Zamoyskis „1812. Napoleons Feldzug in Russland”, dass der Kaiser während der Schlacht bei Borodino nicht nur unter einer starken Erkältung, sondern auch unter einem Migräneanfall litt. Als ich das las, frohlockte ich innerlich: Wir haben also doch etwas gemeinsam.

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