Montag, 8. Juli 2024

Sommerresidenz 01


Weile noch immer in meiner Sommerresidenz im Brandenburgischen. Verstecke mich vor dem, tja, ähm, Leben. Aber es lässt mich nicht in Ruhe. Zwischen Rasen mähen und Unkraut jäten muss ich E-Mails beantworten und entwerfen, Telefonate entgegennehmen, Präsentationen korrigieren usw. Ich finde kaum Zeit für Wesentliches, zum Beispiel meine Paranoia. Wobei ich mich auf die seit jeher felsenfest verlassen kann: Sie kommt immer wieder. 

Zum Mittag meldet sich mein alter Freund Phillip Bottomley Phelps per Video-Call. Ohne direkten oder indirekten Anlass, einfach nur so. Zur Begrüßung wirft er mir ein "You've changed quite a bit" an den Kopf. Kommt da noch was? Nein. Er lässt es einfach so im Raum stehen. Auch gut. 

Er ist wohlauf, hat letzte Woche bei der Regatta in Henley im Achter den dritten Platz belegt. Trinkt trotzdem jeden Abend seine drei G+T, einen leichten Weißwein zum Aperitif und zum Essen einen schönen, vollmundigen Claret. Whisky nach dem Essen ein Kann, kein Muss. Ein Vorbild, wenn man so will. Arbeitet derzeit an seinem nächsten Stück "Emergency Exit 4". Fordert mich zur Kollaboration auf. Vielleicht ein anderes Mal.

Nach dem Shopping im Supermarkt meines Misstrauens überquere ich mit vollem Einkaufswagen vor einem wartenden Auto den Zebrastreifen."Geht's noch etwas langsamer?" ruft mir die Fahrerin erbost nach. Ich drehe mich um, lächle gewinnend und sage freundlich: "Gern. Aber leider bin ich im Moment in Zeitnot. Vielleicht beim nächsten Mal." Die Menschen wollen einfach nur wahrgenommen werden. Ich tue ihnen den Gefallen.

Die Tochter, zur Englisch-Kursfahrt in Warschau (???), fragt mich, ob ich Zugriff auf ihr Prepaid-Kreditkartenkonto habe. Nein, habe ich nicht, nur sie. Leider hat sie das Passwort vergessen und weiß nun nicht, ob die vorab überwiesenen Reisespesen eingetroffen sind. Not my problem, thank you very much.

Die Gattin ist ebenfalls am Anschlag. Schlägt sich mit der britischen Einwanderungsbehörde herum, weil unsere Tochter demnächst eine Privatschule auf der Insel besuchen soll. Auch hier kann ich nicht helfen. Nur dass ich nach dem Telefonat direkt eine Aura bekomme, Anbahnung einer Migräne (möglicherweise). 

Abgesehen davon ist alles im grünen Bereich. Die Vöglein singen, genauer das Rotkehlchen (Erithacus rubecula), die Amsel (Turdus merula), der Grünfink (Chloris chloris), die Elster (Pica pica), die Kohlmeise (Parus major), die Blaumeise (Cyanistes caerulus) und der Grünspecht (Picus virides). Die Vögel, deren lateinischer Name aus zwei gleichen Begriffen besteht, tun mir ein wenig leid. Dem Namensgeber mangelte es offensichtlich seinerzeit an Phantasie. Sind sie die Proletarier der Vogelwelt?

Anyway, das Abendlicht vergoldet die Stunde, der Rasen ist gemäht, und ich habe sogar ein wenig an den ersten beiden Kapiteln meines Magnus Opum gearbeitet. Was will man mehr?

Die neue PC-Brille scheint sich zu bewähren, obwohl ich an einem Mac arbeite. Das etwas merkwürdige Desorientierungsgefühl am Anfang gibt sich allmählich. Kleine Erfolgserlebnisse beflügeln für die kommenden Tage.

Ansonsten keinerlei menschliche Gesellschaft, abgesehen von beiläufig getauschten Hallos und Smalltalks mit den Nachbarn und einer freundlichen Aufforderung, mein Auto umzuparken, da man auf dem Stellplatz den Rasen mähen müsse. Dem komme ich gern nach. 

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Was wird bleiben, was ist von Belang oder gar Bestand? Nichts. Und das ist auch gut so.



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